Ausblick
Sphere Tim Raue im Fernsehturm eröffnet

BERLIN. Der Berliner Fernsehturm hat gemeinsam mit Tim Raue das Sphere Tim Raue als höchstes Restaurant Deutschlands eröffnet. Der Zwei-Sterne-Koch bringt eine neue kulinarische Handschrift in das 360-Grad-Panorama-Restaurant mit 200 Sitzplätzen. Tim Raue sieht in dem Projekt eine Hommage an seine Heimat Berlin. Vor der Eröffnung wurde das Restaurant und die Küche erstmals seit der Eröffnung des Fernsehturms 1969 komplett renoviert. Dafür war das Restaurant seit November 2024 geschlossen. Allerdings sollte nicht der Eindruck entstehen, dass alles kalt und neu sei, erklärt Tim Raue. Beim Umbau seien etwa die Stühle nur bezogen worden. Das Besteck habe einen Vintage-Look, um „die Geschichte, die seit der Eröffnung entstanden ist, zu respektieren.“ Auch die Metall-Umfassung der Tische und die Tischlampen wurden belassen – Kratzer der vergangenen Jahrzehnte inklusive.
Tim Raue beschrieb bei der Eröffnung die Ausrichtung der Küche, die vom „Steppke“ bis zu den Großeltern alle ansprechen solle: „Der Fernsehturm ist das Wahrzeichen Berlins – für mich als Berliner ist es eine Herzensangelegenheit, diesen Ort kulinarisch zu gestalten und damit Ost und West auf dem Teller zu vereinen“, sagt Raue. Sein Konzept: eine zeitgemäße Berlin-Brandenburg-Küche, die von seiner charakteristischen Aromenwelt aus Süße, Säure und Schärfe geprägt ist. Um diese Ost-West-Verbindung hinzubekommen, habe sich Tim Raue als West-Berliner von seinem kulinarischen Direktor Steve Karlsch zu Anfang des Projekts sagen lassen müssen: „Wir schaffen das, aber zum ersten Mal müssen Sie mir zuhören.“ Schwedenbecher und den besten Broiler der Stadt müsse es im Fernsehturm geben, habe er gesagt.
Bereits am Morgen lädt das Restaurant zum Frühstück über den Dächern der Hauptstadt ein. Angeboten werden unter anderem das Sphere-Frühstück (25 Euro) mit Brandenburger Käse, hausgebeiztem Lachs und Beeren-Smoothie oder das vegane Frühstück (25 Euro) mit Avocadostulle, Tomatenkompott und Kichererbsencreme. Wer es leichter mag, wählt eine Granola Bowl mit frischen Beeren, Nüssen, Chia-Samen und Joghurt (11,50 Euro) oder genießt einen der beliebten Crodots – Donuts aus Croissantteig – in süßer oder herzhafter Variante.
Ab mittags wird die Karte besonders persönlich, denn Raue serviert Gerichte, die seine kulinarische Biografie widerspiegeln: etwa den Garnelen-Cocktail KaDeWe (16 Euro), der ihn einst nachhaltig prägte, oder die Soljanka mit Schrippe (11,50 Euro) – eine Hommage an die DDR-Vergangenheit des Fernsehturms. Zu den Klassikern zählen insbesondere seine Königsberger Klopse vom Kalb (28 Euro), einst für Barack Obama und Angela Merkel zubereitet, sowie Oma Gerdas Eisbein vom Spanferkel (28 Euro). Für den besonderen Genuss sorgen Rinderfiletmedaillons mit Trüffelrahmsauce (36 Euro), während Zander mit Schmorgurken (29 Euro) oder pflanzliche Alternativen wie das Planted-Steak (36 Euro) ebenfalls ihren festen Platz auf der Karte haben.
Besonderes Augenmerk gilt den Menüs: Angeboten werden das Heiß-&-Kalt-Menü mit Currywurst und Dessert (29 Euro), ein veganes Drei-Gänge-Menü oder das klassische Berliner-Schnitzel-Menü (jeweils 44 Euro). Besonderen Genuss verspricht das Menü „Meine Heimat – Tim Raues Berlin & Brandenburg“ in vier Gängen, inklusive Aperitif, Getränkebegleitung und Kaffee für 125 Euro. Zu den Preisen ist anzumerken, dass pro Person noch das Ticket für die Fahrt auf den Turm hinzugebucht werden muss, also eine Art Eintritt in das Restaurant gezahlt werden muss.
Die Küche basiert auf Gerichten und einem Stil, den Tim Raue bereits im La Soupe Populaire in Berlin und der Villa Kellermann in Potsdam gezeigt hat.
Dieses Menü mit dem Zander als zusätzlichem Gang präsentierte das Team ausgewählten Gästen im Rahmen eines Eröffnungs-Events, zu dem Restaurant-Ranglisten.de eingeladen war. Hier unsere ersten Eindrücke:

Garnelen-Cocktail KaDeWe: Spicy Mayonnaise, Champignons & Rote Garnelen: Mit der kalten Vorspeise bezieht sich Tim Raue auf eines seiner ersten kulinarischen Kindheitserlebnisse: den jährlichen Besuch zu Silvester und Weihnachten in der Lebensmittel-Etage des KaDeWe mit seiner Großmutter. Die Interpretation für das Sphere setzt nun statt auf Krabben auf Garnelen. Ihre leichten Bitter- und Süßnoten werden von der Cocktailsauce aufgenommen. Die hat dann auch den Tim-Raue-Twist, zeigt sie doch eine merkliche Schärfe. Diese wird ergänzt von feiner Säure und Fruchtigkeit der halbierten Mandarinenspalten, Melone und Apfel. Der Salat selbst ist nicht mariniert. Unserer Meinung nach könnte der Salat zum Beispiel mit ein paar Spritzern eines Saftes der hier verwendeten Früchte mariniert werden.

Zander, Schmorgurken, Senfsaat, Estragonpüree, Dillöl: Manchmal stelle er sich vor, vom Fernsehturm bis zur Ostsee gucken zu können, sagt Tim Raue bei der Vorstellung des zweiten Gangs, dem Zander, der aber aus dem Süßwasser kommt. Der in Zitronenöl marinierte Fisch ist auf den Punkt gedämpft. Fein und blättrig kommt er auf die Gabel – das ist bemerkenswert, wenn man bedenkt, wie viele Portionen hier geschickt werden. Die Senfrahm-Sauce mit Schmorgurken hat eine zurückhaltende Schärfe. Dazu kommen herbes Estragonpüree und mildes Dillöl. Das Gericht erinnert entfernt an die Zandergerichte aus Tim Raues Zwei-Sterne-Restaurant. Hier ist es deutlich rustikaler präsentiert – die Säure allerdings ist bemerkenswert fein abgestimmt.

Soljanka, Sauerrahm & Dill: Die Soljanka ist eine Referenz an die Kulinarik der DDR und wird hier als Suppe angeboten. Entsprechend viel Flüssigkeit ist in dem tiefen Teller. Eher sparsam portioniert ist die Fleischeinlage aus in Julienne geschnittener Wurst. Aber dafür ist deren Textur sehr zart und schön schmelzig. Die Suppe selbst erhält durch einen hohen Tomatenanteil und Orangenöl eine neue Note. Dies lässt den Paprika-Geschmack etwas süßer und vor allem feiner werden. Für den feinen Gaumen ist das Orangenöl vielleicht etwas plakativ eingesetzt – andererseits soll ja auch spürbar sein, dass Tim Raue an einem Traditionsrezept Hand angelegt hat. Da sollte die Veränderung bei einem auf eine breite Gäste-Klientel ausgerichteten Konzept vielleicht nicht zu subtil sein.

Königsberger Klopse: Die Königsberger Klopse von Tim Raue sind mittlerweile recht bekannt. Unter anderem, weil er dieses Gericht bei einem Staatsbankett für den damaligen US-Präsidenten Barack Obama serviert hat. Außerdem war es auch schon eine Aufgabe für Tim Mälzer in der TV-Sendung „Kitchen Impossible“, die Version nachzukochen. Die Klopse selbst haben eine feine Konsistenz, sind aber zur Premiere ziemlich salzig abgeschmeckt. Dazu gibt es eine Nocke feines Kartoffelpüree, das aber nicht zu viel Eigengeschmack hat. Es ist eher dazu da, die mit Kapern verfeinerte Sauce noch etwas stärker zu binden. Der Rote-Bete-Salat ist angenehm, leicht erdig gehalten und gibt so ein paar mehr dunkle Töne in das Gericht.

Tante Katis Käsekuchencreme: Ungebackene Käsekuchencreme aus Frischkäse und Sauerrahm mit einem Schuss Grafschafter Sirup, dazu süßes Rhabarberkompott, erfrischend säuerliches Erdbeersorbet und hausgebackene salzige Butterstreusel. Das Dessert kann man ohne große Gedanken genießen, denn mit jedem Löffel kommt etwas von allem in den Mund: die milchige Frische der Käsekuchencreme, die Süße und die ebenso gut balancierte Salzigkeit.
Unser Eindruck: Die Aufgabe, eine geschmackliche Breite anzubieten, ist gut gelöst. Der Gast, der mit seiner Fine-Dining-Küche nicht vertraut ist und vielleicht das Geld dafür nicht ausgeben kann oder mag, bekommt einen groben Eindruck seiner Stilistik. Wer die Stilistik des Restaurants Tim Raue kennt, merkt, dass dies eine stimmige Ableitung des Berlin-Menüs dort ist. Dieser Eindruck ist auch stärker als die immer wieder angeführte Verbindung von Ost- und Westküche. Dies scheint doch eher dazu zu dienen, das lokale Gästepotenzial anzusprechen, das vielleicht schon viele Jahre nicht mehr auf dem Fernsehturm war und denen nun (wieder) Lust auf ein Essen mit Aussicht gemacht werden soll.