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Wissenschaftler stellen fest: Top-Köche verstehen sich als Künstler

Die Spitzenküche kann auch ein Forschungsfeld für Wirtschaftswissenschaftler sein. Neue Menüs, neue Gerichte, neue Ideen – mehrmals im Jahr verändern Spitzenköche ihr Angebot. Aus Sicht der Wirtschaftswissenschaft sind das Innovationen, die am Markt platziert werden wollen. Ein Forscherteam der Universitäten Kaiserslautern, Hamburg-Harburg und einer Fachhochschule in Berlin hat in einer groß angelegten Erhebung erforscht, wie Spitzenköche dabei vorgehen. Ihr Ziel war ein Vergleich mit klassischen Wirtschaftsbranchen. Dazu interviewten sie mehr als 40 Sterneköche in Deutschland und Europa. Außerdem werteten sie auf Basis einer Totalerhebung bei Europas Sterneköchen 535 Fragebögen aus 16 europäischen Ländern aus. Über die Forschungsergebnisse haben wir bereits vor einigen Wochen informiert. Die Erkenntnisse erschienen uns so interessant, dass wir mit einem der drei Autoren, mit Prof. Dr. Gordon Müller-Seitz von der TU Kaiserslautern, ein Interview zu der Forschungsarbeit geführt haben.

Restaurant-Ranglisten.de:  In welchem Restaurant sind Sie auf die Idee für die Studie gekommen?

Gordon Müller-Seitz: Ob Sie es glauben, oder nicht, in keinem Restaurant. Wir sprachen darüber, dass wir mal über den Tellerrand unseres wissenschaftlichen Bereichs schauen müssten. Über das Wortspiel ist dann die Idee geboren worden.

Aber Sie gehen schon gerne auf Sterne-Niveau essen?

Leider nein, in einem Sterne-Restaurant war ich bislang nur zu Untersuchungszwecken. Aber ich war schon mal in einem Restaurant mit einem Bib Gourmand essen – immerhin ein erster Schritt. 

Wieso haben Sie sich dann die Spitzengastronomie vorgenommen, um Innovationsprozesse dort mit denen in anderen Branchen zu vergleichen?

Der Hintergrund ist, dass meine Kollegen und ich im Bereich strategisches Management und Innovationsmanagement, verstanden als klassische betriebswirtschaftliche Disziplinen, forschen. Das heißt, wir untersuchen wie gewinnorientierte Unternehme Organisationsprozesse strukturieren und verbessern, um innovativer zu werden. Im Bereich der Innovation ist festzustellen, dass früher geschlossene Prozesse vorherrschten. Entwicklungen liefen bis in die 80er Jahre vor allem intern ab. Das heißt, dass man andere Organisationen da nicht hinein gucken lassen wollte. In den 80er und 90er Jahren änderte sich das. Die Unternehmen haben dann eher gesagt, 'wir wissen, dass da draußen kluge Köpfe sind, Kooperationen könnten unsere Innovationsprozesse bereichern'. Dabei kooperierten Unternehmen nicht nur miteinander, wie beispielsweise VW und Bosch, sondern Verbesserungsideen kommen heutzutage häufig auch von Kunden, etwa über Internetportale. Das ist das klassische Feld, in dem wir uns tummeln. Aber dann wollten wir schauen, was kreative Köpfe in ganz anderen Kontexten machen.

Wir erleben nicht so häufig wirklich neues in der Sternegastronomie. Viele neue Gerichte sind doch eher das Ergebnis eines kreativen Prozesses, der Bekanntes nur anders zusammenstellt oder leicht abwandelt. Sind das dann schon Innovationen aus Ihrer Sicht?

Ja schon. Der reinen Lehre nach, ist Kreativität der Startpunkt. Innovation bedeutet, die kreative Idee am Markt zu platzieren. Bei der wissenschaftlichen Betrachtung des Innovationsmanagements interessieren wir uns dann für den ganzen Prozess, von der Ideengenerierung bis zur Marktplatzierung. Dabei fängt es oft mit tausend Ideen an,  die man in einen Trichter wirft und am Ende kommt eine Idee heraus. Deshalb haben Sie recht, oft wird alter Wein in neuen Schläuchen verkauft. Das können Sie dann vielleicht als nicht neu oder nicht besonders kreativ empfinden, weil da nicht zwingend etwas Geniales dahinter steckt. Aber entscheidend ist die Kundensicht. Was ist aus Sicht der Kunden neu? Das gilt auch für den Gastronomiebereich. Auch da ist die Kundensicht entscheidend. Interessanterweise zeigt unsere Untersuchung, dass Sterneköche das, was sie entwickeln, nicht unbedingt als innovativ empfinden.

Haben Sie große Unterschiede zwischen den Köchen festgestellt, was ihre Innovationskraft betrifft?

Es gibt einen Unterschied zwischen Köchen mit zwei oder drei Sternen und Köchen mit einem Stern oder einem Bib Gourmand. Aber die Unterschiede sind nicht so groß, wie man es sich viel denken oder vielleicht wünschen würde.

Unsere Leser werden aus Erfahrung sicher bestätigen, dass Zwei- und Drei-Sterne-Köche sich durch eine größere Eigenständigkeit auszeichnen und ich behaupte, dass erfahrene Gourmets das auch schmecken. Aber gibt es auch Unterschiede zwischen Köchen, die sich eher der klassischen Küche verpflichtet fühlen und denen die sich als kreative Köche bezeichnen?

Das lässt sich an einem Punkt festmachen: an den Antworten auf die Aussage, dass Kritiker und Gäste keine Rolle im kreativen Prozess spielen. Da lässt sich feststellen, dass Zwei- und Drei-Sterneköche eine ähnliche Perspektive verbindet. Da spielt auch der qualitative Sprung von zwei auf drei Sternen keine Rolle. Das heißt, wir konnten nachweisen, dass aus Sicht dieser Köche verglichen mit Ein-Sterne- und Bib-Gourmand-Köchen, die Gäste und Kritiker eine weitaus untergeordnetere Rolle spielen, was den Innovationprozess betrifft. Das heißt, auf die Frage, ob die von Gästen oder Kritikern Ideen bekommen, sagen diese Spitzenköche: "Nein, kriegen wir nicht."

Was Inspirationen oder Ideen betrifft, hilft der Guide Michelin mit seine sehr sparsamen Texten im Führer ja auch nicht viel weiter und die Möglichkeit beim Michelin die Berichte der Inspektoren einzusehen, nutzen nach eigenem Bekunden die Drei-Sterne-Köche selber eher nicht.

Ja, aber bei klassischen Industrien würde man gerade Kontakt mit diesen Institutionen aufnehmen, sich austauschen und Lobbyismus betreiben. Insofern ist das da eine ganz andere Logik, die für uns interessant war. Was ich auch noch interessant fand, war, dass die Köche bewusst kalkulieren , einen weiteren Stern zu bekommen. Die Gefahr, ihn wieder zu verlieren,  übweigt die Freude über den Gewinn. Daher sagen manche, 'wir bleiben bei einem Stern, lasst uns bloß in dieser Kategorie, wir wollen nicht höher'. Die Angst vor einem Gesichtsverlust geht zudem Hand in Hand mit den ökonomisch negativen Konsequenzen eines Sterneverlusts.

Kommen wir nochmal zurück auf die Zwei- und Drei-Sterne-Köche. Ich denke, viele Gourmets schätzen es gerade, dass sie dort die unbeeinflusste Handschrift eines Küchenchefs erleben können. Haben diese Köche eher den Habitus eines Künstlers als den eines Unternehmers?

Genau. Auf der Maslow‘schen Bedürfnispyramide ganz oben: „sich selbst verwirklichend". Aber in der klassischen Wirtschaft würde man auch sagen, dass es eine individuelle Handschrift sein kann, dass man permanent offen ist für die Bedürfnisse der Kunden. So richten etwa Unternehmensberatungen ihr Geschäftsmodell aus. Das ist bei Köchen undenkbar.

Sie wollten ja auch der These nachgehen, ob offene Innovationsprozesse für Köche vorteilhaft sind. Da war das Ergebnis nicht so eindeutig. Wie ist das also zu verstehen?

Ich versuche es mal mit einem Beispiel: ein neuer Golf. Da erwartet die Kundschaft, dass er in irgendeiner Art innovativ ist. Da muss aus Sicht des Kundens zum Beispiel etwas technologisch Neues drin sein, sonst könnte der Kunde ja bei seinem alten Modell bleiben. Aber das Ganze darf auch nicht zu innovativ sein, denn sonst gibt es zu viele, vielleicht ältere Kunden, die mit den neuesten Technologien nicht so vertraut sind, abschreckt. Man sollte also moderat innovativ sein. Das heißt, Sie sind wenig erfolgreich wenn Sie gar nicht innovativ oder wenn Sie zu innovativ sind, aber in der Mitte sind sie am erfolgreichsten. Bei den Köchen haben wir jetzt das genaue Gegenteil entdeckt, dass die erfolgreichen Köche entweder sehr offen oder sehr geschlossen gegenüber den Kundeneinflüssen sind, aber nicht moderat. Das ist der große Unterschied zum klassischen Bereich. Das ist dann wechselseitig interessant.

Bremst sich eine nennenswerte Zahl von Sterneköchen bewusst, was Innovationen angeht, weil eben die eine Vielzahl von Gästen nicht zu viel Innovation und Ungewohntes wollen?

Ich glaube nicht, weil es gibt ganz wenige, die mit diesem extravaganten Charme für Gäste kokettieren und so etwas wie die lebenden Ameisen kredenzen. Das sind die ganz ausgefallenen Köche, die bewusst auf Skandale setzen, um Aufmerksamkeit zu erregen. Viele würden das aber aus Überzeugung nicht machen.

Kann die Spitzengastronomie etwas von der klassischen Wirtschaft lernen?

Gerade die höherrangigen Sterneköche könnten die Öffnung des Innovationsprozesses noch professioneller ausgestalten, wenn man, wie es in der Industrie geschieht, an die Kritiker herantritt und möglicherweise den Habitus der Unfehlbahrkeit fallen lässt. Das könnte helfen, auf andere Einflüsse zu kommen. Natürlich machen viele Köche auch in Südostasien Urlaub und lassen sich da von lokaler Küche inspirieren. Aber das kann man noch forcieren und fruchtbarer gestalten und so ausgefallenere Ideen entwickeln. Oder, dass man sich Foren schafft und sich mit Kollegen und Produzenten austauscht. Das ist im Kommen, aber das ist nicht so etabliert wie im Unternehmensbereich. In der Halbleiterindustrie hat die Branche erkannt, dass man nicht als einzelnes Unternehmen innovativ sein kann. Daher werden bei Treffen Innovationen koordiniert, um den Stand der Technik abzugleichen. Bei den Köchen ist das – nach meiner Wahrnehmung – noch mehr eine eigene Nabelschau, als ein offener Austausch, wo man gemeinsam über neue Formate nachdenkt, weil dann doch jeder sich mehr als eigener Fürst wahrnimmt. Auch ein zweiter Gedanke scheint verpönt:  ein Kettensystem.

So wie Tim Raue, der mehrere Restaurants betreibt, oder Pierre Gagnaire oder Alain Ducasse. Aber viele Gäste wollen doch den "Künstler hinterm Herd" persönlich sehen...

Ich will nicht sagen, ob das gut oder schlecht ist, aber das wäre etwas, was man von der Industrie lernen kann: die bessere ‚Ausbeutung‘ der eigenen Marke. Es ist klar, dass das zum Aufschrei führen würde. Es wird ja auch in kleinerem Umfang gemacht, aber da kann man lernen, systematischer zu operieren.

Werden Sie nun – nach den vielen Interviews mit den Köchen – interessiert Sie ein Koch für Ihr erstes Sterneessen?

Ich war im Bib Gourmand Restaurant, das reicht mir eigentlich. Aber wenn es mal etwas zu feiern gibt sicherlich, aber ich habe keinen konkreten vor Augen.

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