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Claude François Gysin-Spitz - Die taube Urgrossmutter und die blinde Grossmutter brachten ihm das Kochen bei

von Boris Burkhardt

Wenn in Riehen die Beschreibung „Patchwork“ auf jemanden zutrifft, ist es Claude François Gysin-Spitz. Der Bürger von Riehen und Bettingen ist unter jeder Menge Familiennamen bekannt, wie er erzählt. „Wenn ich in Riehen unterwegs bin, bin ich Herr Ruf“; sagt er mit Blick auf die Vorfahren mütterlicherseits. Seine Mutter trage nun allerdings den Namen Nägeli; und als er in der Ostschweiz gewohnt habe, sei er Herr Gysin gewesen. Bekannt geworden ist er aber unter dem Namen Gysin-Spitz – und zwar als mehrfach ausgezeichneter Koch des „Pfaffenkeller“ in Wollbach. Ganz so alt wie dessen 600jährige Geschichte ist die Lebensgeschichte Gysin-Spitzens nicht – aber mit ihren Höhen und Tiefen sicherlich genauso schillernd.

Das Kochen lehrte er im Hause der Urgross- und Grossmutter zwar schon von klein auf. „Wir haben im Garten alles selbst produziert“, erinnert er sich. In der ganzen Familie sei heute die Leidenschaft zum Kochen und Backen noch vorhanden. Zum Kochen als Beruf kam Gysin-Spitz aber erst über Umwege. Zunächst schlug er als Drogist eine ganz andere Richtung ein, machte das Handelsdiplom an der HKV Basel und studierte 2001 an der Uni Sankt Gallen Betriebswirtschaft und Informatik. Letztendlich arbeitete er als selbständiger Unternehmensberater in der Informatik. 

Das alles war jedoch nicht mehr wichtig, als ihm 2004 ein ebenso tragischer wie kurioser Unfall passierte: In einem Restaurant in Luzern wurde er von einem rund 700 Kilo schweren Deckenstück getroffen. Hirn und Rückgrat erlitten schwere Verletzungen – Gysin-Spitz stand eine „schwierige Odyssee“ bevor; die Schäden sind nie mehr ganz verheilt. In dieser Schicksalszeit half ihm vor allem sein späterer Mann, Georg Anton Alfons Gysin-Spitz, den er ein Jahr nach dem Unfall kennenlernte. „Er motivierte mich und unterstützte mich bei meinem Projekt“, sagt Claude François Gysin-Spitz. Denn als klar war, was er nach der Genesung noch würde tun können und was nicht, sei für ihn festgestanden, ein neues Leben als Koch zu beginnen: „Ich wollte mich in meinem Leben nicht nur auf die IV verlassen müssen.“ 

Dass Koch nun nicht gerade der entspannendste Beruf zur Auswahl war, gibt Gysin-Spitz heute lachend zu: „Aber es war etwas, das ich konnte und bei dem ich nicht mehr musste rechnen können.“ Die Betriebswirtschaft übernimmt daher sein Mann; und Claude François Gysin-Spitz steht am Herd in der Küche. Und auch Rezepte müsse er sich keine merken: „Meine Uroma war taub, meine Grosi blind; sie brachten mir bei, die Zutaten zu schmecken und fühlen, statt sich auf Rezepte zu verlassen.“ 

„Ein ganz kleines Restaurant“ schwebte Gysin-Spitz vor. Klein ist der Pfaffenkeller in Wollbach tatsächlich, den das Paar Gysin-Spitz vor zehn Jahren kaufte – räumlich betrachtet. Dass er einmal einen so grossen Namen in der Gastronomieszene haben würde, liess sich Gysin-Spitz freilich nicht träumen, als er mit seinem Mann das rund 600 Jahre alte Gebäude direkt neben der Dorfkirche kaufte. So ist der „Pfaffenkeller“ neben Auszeichnungen von Michelin, Südland-Köche und Slow Food dieses Jahr auf der Volkenborn-Rangliste zum 508-besten Restaurant Deutschlands gekürt worden, im „World Ranking“ auf Platz 6066 auf der ganzen Welt, was Platz 637 in Deutschland entspricht. 

Dabei kocht Gysin-Spitz nach eigener Aussage ganz bescheiden und grub die „alte vergessene Markgräfler Küche“ wieder aus: Onglet, Ochsenschwanz, Schweine-, Kalbs- und Ochsenbäckli. Gerichte, die „viel Zeit brauchen“, wie er sagt. Und dieser Langmut zahlte sich aus. So dauerte es gerade sechs Jahre, bis Gysin-Spitz 2013 in den Verein „Euro-Toques“ berufen wurde, eine Vereinigung europäischer Eliteköche, unter anderem Paul Bocuses, die sich unter strengen Kriterien einer nachhaltigen, regionalen und saisonalen Küche verschrieben haben. Dadurch wurde er auch „Koch ehrenhalber“, da er nie die Prüfung an der Industrie- und Handelskammer abgelegt hatte, um die Bezeichnung offiziell zu führen. 

Neben der Wirtschaft gehören zum „Pfaffenkeller“ auch ein Laden mit eigener Manufaktur und ein Hotel der Klasse „3 Sterne superior“ mit neun Zimmern. Gysin-Spitzens haben das alte Haus generalsaniert – und dabei viel über seine Vergangenheit und seine Geheimnisse erfahren. Die Bauherren entdeckten bei den Renovierungsarbeiten drei Gewölbekeller. Der dritte ist aus baurechtlichen Gründen noch immer verschüttet; in ihm kamen neben Sand und Muscheln auch Kinderknochen zum Vorschein. Auch alte Fratzenfiguren tauchten wieder auf. „Die Gebäudefassade wurde in den 50er-Jahren zubetoniert; und alles darunter ging damals verloren“, sagt Gysin-Spitz. So sei auch das Portal über der Eingangstür durch die Betoniererei „stark strapaziert“ worden. 

Das Gebäude entspricht nach der Renovierung wieder dem Zustand von 1815; die beiden Gaststuben sind liebevoll mit Antiquitäten aller Art dekoriert: „Wir haben aus dem hässlichen Entlein behutsam einen Schwan gemacht.“ Geburtstagsgesellschaften und Taufen, die „Oberste Geschäftsleitung von Weltkonzernen“ seien heute die Gäste. Laut Gysin-Spitz bietet der „Pfaffenkeller“ heute ein Ambiente, „wo die Grossmutter und der Enkel etwas zum Beschauen finden“. 

Doch so idyllisch ging es nicht immer zu in den vergangenen zehn Jahren. So war der eigentlich völlig harmlose Begriff „Pfaffe“ dem ehemaligen Wollbacher evangelischen Pfarrer laut Gysin-Spitzens derart ein Dorn im Auge, dass er gegen den Namen sogar gepredigt und im Gemeindeblättchen geschrieben habe. Diese Ansicht könne er gar nicht nachvollziehen, sagt Spitz, zumal im Ort selbst Gebiete wie „Pfaffenloh“ und „Pfaffenmatthalde“ lägen. Ausschliessen kann Gysin-Spitz aber auch nicht, dass in Wirklichkeit die homosexuelle Beziehung des Wirtepaars das Problem war – wobei es inzwischen ein zweites in der „Krone“ in Wollbach gibt. 

Jedenfalls hätten die älteren Kirchgänger im Dorf nicht mehr gegrüsst; und sogar für nächtliche Flugblätteraktionen seien sich Mitglieder der Kirchengemeinde nicht zu schade gewesen. Für das religiöse Paar, Georg Anton Alfons katholisch, Claude François reformiert, war dies besonders schwer zu ertragen. Inzwischen ist der Name „Pfaffenkeller“ aber sogar weltweit urheberrechtlich geschützt – und auch der neue Pfarrer schert sich offensichtlich nicht mehr um den Namen des inzwischen international berühmten Gasthauses direkt vor seiner Kirchentüre und kommt selbst zum Essen vorbei.  

Claude François Gysin-Spitz -Die taube Urgrossmutter und die blinde Grossmutter brachten ihm das Kochen bei

 

von Boris Burkhardt

Wenn in Riehen die Beschreibung „Patchwork“ auf jemanden zutrifft, ist es Claude François Gysin-Spitz. Der Bürger von Riehen und Bettingen ist unter jeder Menge Familiennamen bekannt, wie er erzählt. „Wenn ich in Riehen unterwegs bin, bin ich Herr Ruf“; sagt er mit Blick auf die Vorfahren mütterlicherseits. Seine Mutter trage nun allerdings den Namen Nägeli; und als er in der Ostschweiz gewohnt habe, sei er Herr Gysin gewesen. Bekannt geworden ist er aber unter dem Namen Gysin-Spitz – und zwar als mehrfach ausgezeichneter Koch des „Pfaffenkeller“ in Wollbach. Ganz so alt wie dessen 600jährige Geschichte ist die Lebensgeschichte Gysin-Spitzens nicht – aber mit ihren Höhen und Tiefen sicherlich genauso schillernd.

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