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Erinnerungen an einen Tag im La Vie

Ein Tag in der Küche des "la vie" ***

Liebe Köche des "la vie"!

Verdammt, hätte ich nur besser aufgepasst, als Sie, Marcel, mir die Lektion im Zwiebelschneiden gegeben haben. Nicht drauf los hacken, sondern das Messer vorne mit scharfem Schnitt ansetzen, durchziehen, nie drücken.
Nun muss ich meine Impressionen bepflastert in die Tasten klackern. Ohne jegliches Fachdeutsch, ohne chronologischen Ablauf und beileibe ohne Anspruch auf Vollständigkeit.

Ich hatte das Privileg, als Drei–Stunden-Jobber bei euch in der  Küche vom la vie „angestellt“ zu sein, in der Werkstatt des 3-Sterne Küchenchefs Thomas Bühner und euch ausnehmend sympathischen Meisterschülern. 

Meine Eindrücke sind total andere als die Ekelbeschreibungen, die ich bei Anthony Bourdain gelesen hatte. Seine Warnung im Untertitel „Was Sie über Restaurants nie wissen wollten“ hatte ich in den Wind geschlagen.

Marcel arbeitet als Saucier in der 17köpfigen Brigade.
Eine Brigade, lt. Wikipedia der kleinste militärische Großverband des Heeres, der aufgrund seiner Organisation, Personalstärke und Ausrüstung in der Lage ist, operative Aufgaben (ohne substantielle Verstärkungen) selbständig zu lösen!

Heiliger Laurentius, Patron der Köche! Dank sei dir, dass du uns mit technokratischen Definitionen verschonst.  In deiner irdischen Filiale gehören Handwerk,  Respekt vor dem Produkt, Präzision, Kreativität, ja, auch Organisation, Timing und Menschlichkeit zu den strategischen Pfeilern. Hier lebt der Chef Hierarchie ohne Kasernenton und Gezänk vor. Im la vie stehen die Stärken der Köche im Vordergrund, keiner wird untergebuttert. Eure Waffen sind Kochtöpfe und Gerätschaften. Die werden nicht als Geschoss eingesetzt. Euer einzig erlaubter Angriff ist der auf die Geschmacksnerven – und auf die Leibesmitte. Obwohl… von euch ist niemand dick. Selbst das Michelinmännchen hat abgespeckt.

Eine sehr entspannte Atmosphäre herrscht, als wir gegen Mittag in die edelstahlglänzende, weißgekachelte Küche einlaufen, die Vorbereitung für das Dinner am Abend steht an. Mit einem besonderen Menü.
Der heitere Gleichmut von euch Operateuren konterkariert jeglichen Vergleich mit einer militärischen Einrichtung. Eher ähnelt die Szenerie einem OP aus einer Fernsehserie. Mit sehr vergnügten Schauspielern. Helden der Küche. Euer Himmel hängt voller Pfannen. 

Hier schnippelt und stückelt, raspelt und schnitzt, rührt, knetet und ziseliert, holt und bringt Ihr Produkte und Utensilien, Ihr die Creme de la Creme aller Gardemangers, Entremetiers, Patissiers, Commis de Cuisine. Sichtbare Heinzelmänner, die Ihr seid. Jeder Posten ist eine Werkstatt, perfekte mise-en-place-Arbeiten, sind für euch Voraussetzung. Könnte mir zu Hause auch nicht schaden. Konserven gibt’s nicht, alles haute-cuisine-made. Küchengerätschaften, Schraubgläser, Dosen, Amuse-geule-Aroma-Fläschchen dekorieren die geräumige aber nicht zu große Küche. Ein Superherd oder sinds mehrere? Appetitlich verpackte Lebensmittelbeutel mit unterschiedlichen Ingredienzen warten in den Kühlschubladen. Aus dem Baskenland hat sich ein Mugaritz-Karton verirrt. Mugaritz! Gourmetherzen schlagen höher.


Hawan aus Korea, was verstreichen Sie da auf der Platte? Ah, ein Mus aus geschroteten Oliven mit Kakaobutter, die nach dem Kaltstellen gefroren und in Chips, gebrochen wird. Hawan ist Gardemanger.
Sie sehe ich meistens schweigend arbeiten; Sie erwecken in mir Zen-Sehnsüchte. Vor Ihnen eine Silpatmatte mit Kürbiskernen, die Sie in eine knusprige Petitesse verwandeln, schokoladenschwarz überzogen. Austern-Nori-Chips leuchten wie goldene Fundstücke aus dem Meer. Aufwändig gestaltet ihr die kleinsten Accessoires. Nebensache gibt’s nicht. Alles scheint euch leicht von der Hand zu gehen. 


Costa aus Griechenland, mit den großen runden Augen, ebenfalls Gardemanger, scheint überall einsatzbereit zu sein. Einspruch! Die Fotos verraten, ihr ALLE könnt ALLES. Elegant spritzen Sie weiße Macarons, algenbepudert auf eine Matte, als leckeres Kleinteil für die fischige Amuse, während Timo Safranmayonnaise schlägt.



Und was zupfen Sie, Akil? Irgendwelche Salbeikorianderdingsdablättchen? Wie kostbare Safranfäden, cold plates for the hot dishes. Akil, vollbärtig, kommt aus Indien.
Mein Zwiebelmentor Marcel löst den Rehrücken aus, da sitzt jeder Schnitt. Alle besitzt Ihr eine eigene Ausrüstung, Messer, Wetzstahl, Bürsten, Pinzetten, einen ganzen Handwerkskoffer voll. Wie Pretiosen gehütet.



Jannis, so jung aussehend, als hätten Sie gerade die Schule geschwänzt, aber wie alle Ihre Kollegen gelernter Koch, Sie hüllen nackte Mini-Quadrate in zarte Schokomäntel, voila, die La vie Pralinen in progress. Nachthupferl und Werbung. 
 




Steffi, Köchin aus Canada, eine der zwei Frauen aus dem Team, Respekt. Sie praktizieren meist in der Patisserie und heute kochen Sie das Mannschaftsessen, irgendeine Pasta. Lecker, ich habe Hunger. Erst die Arbeit.


Timo, Experte für Fische und Krustentiere, Sie sind heute der alleinige Souschef. Der zweite fehlt. Ein Teil der Crew kommt gerade mit Thomas Bühner, von einem Kochevent aus Berlin zurück. Den vollbepackten Lieferwagen ausräumen geschieht quasi im Handumdrehen.





Kazimierz, Casserolier aus Polen, wie Sie die Riesentöpfe in Ihre Spülecke schleppen! Man sollte sie Spielecke nennen, so vergnügt verrichten Sie die schwere Arbeit. Konträr zu den dramatischen Geschichten, die Kochlehrlinge von ihrem Ausbildungselend erzählen.

Ihr, die junge Garde im la vie, habt eure mehr oder weniger leidvollen Erfahrungen woanders gemacht. Hier kocht ihr mit Leidenschaft, dürft experimentieren, euch als Tournants auf diversen Posten tummeln. Der Stern kribbelt in jedem von euch, verrät Timo. Mir scheint, dass ihr euch wohlfühlt. Soweit eine Außenseiterin das beurteilen kann. Die Stimmung ist gut, Rockmusik, es wird viel gelacht, ab und zu gibt es eine Zigarettenpause. Vor der Tür. Wer behauptet, dass Rauchen den Feingeschmack schmälert? Überall stehen Wasserflaschen, ich trinke Kaffee.

Mein Highlight am aktiven Küchendienst sind die Taubenpralinen. Na ja, eigentlich gebe ich ihnen nur den allerletzten Schliff, ok, auch das stimmt nicht ganz: Ich darf eine kostbare Taubenpraline an einem kleinen Spießchen in den flüssigen, mit vegetarischer Gelatine versetzten Sherry eintauchen. Lackiert ziehe ich sie heraus. C’est ca. Vorher hat Marcel Unwesentliches vorbereitet: Die Taubenkeulchen eingelegt mit Rosmarin und Lorbeer, in Öl im Ofen konfiert, nach dem Erkalten vom Knochen gefieselt, das reine Fleisch in rotem Sherry runter geköchelt, angefroren. Tusch, danach kommt mein Auftritt. 

Im Nebenraum, das tägliche Meeting. Aal, Kumquats, Mango werden bestellt, Fingermöhrchen wurden falsch geliefert… Endlich mal sitzen. Auf dem Herd steht ein Topf mit zartgrünem Hühnerfond, er wirft appetitliche Blasen, in einem anderen schwimmt stolz ein Kingscrab im Hummerfond. Kurkuma, Karotten und Kokos wuseln als seine Vasallen. Vorher hatte Timo 50 Hummerköpfe unter Wärmelampen platziert. Daneben ist ein essbarer Fransenteppich aus Kichererbsenmasse ausgerollt, mit getrocknetem Algenpuder abgeschmeckt. Zum Trocknen aufgespannt. Es dehnen sich Bögen, Streifen, grüne Bananenfäden, Malzsticks auf Matten, es kringeln sich bleiche Scheibchen unter den Höhensonnen. Kross gebräunt kommt ihre Stunde des Applaus, wenn sie die Hauptdarsteller beim Dinner bescheiden begleiten. Und einfach nur köstlich schmecken.

Sie Lukas aus Österreich, "jede gute Küche braucht einen Österreicher", grinsen Sie, vertrauen mir Kaiserschoten an. Aber bitte nur millimeterschmal abzirkeln! Die grünen Ränder sind so grazil, meine Hände blockieren wie Presslufthämmer, dass ich sie abends nirgends in einer der Tellerlandschaften entdecke. Dabei hatten Sie mich mit einem wohlwollenden Gut benotet. Jeden Teller kreiert ihr einzigartig, versehen mit 12 bis 14 Komponenten. Im Mund entfaltet sich die Komposition als Geschmacksknaller.

Einen kurzen Besuch mache ich in der Patisserie. Besser Zauberecke, Alchimistenküche, Irritationen sind euer Programm. Jannis betrachtet einen Brei, den ich kennerhaft als Knödelsubstanz identifiziere. Irrtum, dieses Gemenge soll zu den höchsten Weihen des Dessert erhoben werden: Zu Pastinakeneis. Als reizende Abschlussnote des Chefpatissiers René Frank, leider ist er heute nicht da, als ironisches Zitat entsteigt ein quietschgelbes Entchen aus Zucker seinem Schaumbad. Ente gut, alles gut.

Viele Köche verderben keineswegs den Brei. Soll das Werk den Meister loben, kommt am Pass die Offenbarung. 

Ihr lieben Köche, ich erlebe eine Seite an euch, eine wunderbare, eine fleißig, eine begabte, aber irgendwo müsst ihr doch euren Mister Hyde verborgen halten. Oder hat mich nur Bourdain mit seinen spektakulären Übertreibungen verdorben?
Ich danke euch für die unterhaltsame  Lehrzeit im Crashkursverfahren. Ohne Lehrgeld zu bezahlen.

Dafür belohnt ihr mich und meine begeisterten Tischgenossen mit einem himmlischen Dinner -  "wesentlich" unterstützt durch meine Hilfe! - mit all den Köstlichkeiten, Feinheiten, die der heilige Laurentius nie schmecken durfte. Und die man nicht zu oft essen sollte. Nicht nur wegen der Leibesmitte.

Margret Buchner

Impressionen aus der Küche des la vie

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